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Dokumentart(en): Zeitschriftenbeitrag
Titel der Veröffentlichung: Welchen Weg ging ein junger Student nach einem Unfall in Afrika?

Odyssee durch Rehabilitationen

Autor/in:

Stamm, Gabor

Herausgeber/in:

Bundesverband für Rehabilitation und Interessenvertretung Behinderter e.V. (BDH)

Quelle:

BDH-Kurier, 2001, 53(03/04), Seite 16, Bonn: Eigenverlag

Jahr:

2001

Der Text ist von:
Stamm, Gabor

Der Text steht in der Zeitschrift:
BDH-Kurier, 53(03/04), Seite 16

Den Text gibt es seit:
2001

Beschreibung:

Das steht in dem Text:

In dem Bericht wird dargestellt, wie die Reise eines 21-jährigen Studenten in Ostafrika nach einem schweren Unfall weiterging und welche Reha-Maßnahmen sich für den Krankheitsverlauf als positiv erwiesen haben. Autor Gabor Stamm nennt das Erlebnis, das sein ganzes Leben umkrempelte, meine Rehabilitations-Odyssee.

"Im Juni 1996 war ich als reisefreudiger Chemiestudent nach Bewältigung zweier Vordiplomprüfungen bereit, meinen Urlaub mit einer internationalen Reisegruppe in Ostafrika zu verbringen. Auf die ersten drei, nach Plan verlaufenden Wochen in Simbabwe und Sambia folgte im Land Malawi auf den äußerst schlechten Straßen ein folgenschwerer Unfall. Aufgrund der zu schnellen, unangepassten Fahrweise unseres englischen Busfahrers geriet der Wagen bei einem Ausweichmanöver außer Kontrolle und überschlug sich dreimal. Ich wurde aus dem Bus geschleudert und schlug mit dem Kopf linksseitig auf den Boden auf.

Das Resultat war ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, welches in Malawi in keinster Weise behandelt werden konnte. Nach 27 Stunden gelang es, mich mit einem kleinen Flugzeug nach Pretoria/Südafrika zu bringen, wo ich im „Unitas Hospital“ sofort am Gehirn notoperiert wurde. Ich kam ins künstliche Koma und durfte nach drei Wochen in einer mobilen Intensivstation via Lufthansa-Linienflug nach Frankfurt geflogen werden.

Beste Betreuung in Braunsfeld: In meiner Heimatregion angekommen, lag ich auf der Intensivstation des Kreiskrankenhauses Wetzlar, bis in der Neurologischen Klinik Braunsfels ein Intensivbett für mich frei war. Von Anfang an bekam ich bei bester Betreuung durch Ärzte und Schwestern, Krankengymnastik, Musiktherapie und ergotherapeutische Anwendungen, um den Schluckreflex wieder zu erlangen.

Als ich nach Entfernung der Trachealkanüle in der Lage war Worte zu formulieren, begann auch die Sprachtherapie. Diese Behandlung wurde über die die gesamte Zeit meines Aufenthaltes in Braunfels fortgesetzt, da sich bedingt durch meine Schädigung des Sprachzentrums nur langsam Fortschritte ergaben. Was die krankengymnastischen Behandlungen betrafen, so stellte sich heraus, dass ich nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, mit den Gliedmaßen der rechten Körperhälfte, sondern mit denen der Linken verstärkte motorische Schwierigkeiten hatte.

Aus den konservativen Behandlungsmethoden ergaben sich nur langsam Fortschritte, so dass ich, auch zu einem späteren Zeitpunkt, als ich entlassen werden konnte, noch enorme Schwierigkeiten hatte, meine linke Hand gezielt und vor allem feinmotorisch einzusetzen. Glücklicherweise traf ich in einer meiner zwei folgenden Rehakuren auf eine Krankengymnastin, welche die Zusatzausbildung zur Voythabehandlung hatte. Diese Behandlungsmethode wirkte sich von Anfang an sehr positiv aus, ich machte in kurzen Zeitabständen große Fortschritte.

Rückschläge beim Studium: Zwischen meiner Entlassung nach sechsmonatigem Aufenthalt in Krankenhäusern und Kliniken und meiner ersten Rehakur nahm ich an einer ambulanten neuropädagogischen Therapie teil. Ich versuchte 1997 mein Chemiestudium wieder aufzunehmen und musste diesen Versuch sowohl im praktischen Teil, also der Arbeit im Labor, als auch theoretisch als fehlgeschlagen verbuchen. Auch mein zweiter Versuch im darauffolgenden Semester verlief von der Theorie her nicht entscheidend besser, aber dafür bestand ich den praktischen Teil.

Ich beschloss, eine Ausbildung zum Chemielaboranten aufzunehmen. Über Beziehungen bekam ich einen Ausbildungsplatz an dem ich schon wenige Wochen nach Aufgabe meines Studiums beginnen konnte. Leider ergaben sich im Teil der praktischen Ausbildung auch hier Probleme. So lieferte ich bei Urinuntersuchungen zu viele fehlerhafte Werte und arbeitete zudem zu langsam, außerdem konnte ich mir nicht die Fülle von mündlichen Informationen merken, die als Hilfestellung für mein Analysieren wichtig gewesen wären. Nach Bekanntwerden der Problematik und einer Rücksprache mit der Neurologischen Klinik Braunfels bekam ich als Empfehlung die Teilnahme an einem in Deutschland nur in Bayern stattfindenden Intensiven Reintegrationsprogramm.

Sprungbrett in ein normales Leben: Das aus den USA stammende IRP wird deutschlandweit nur in dem Rehazentrum Schaufling bei Deggendorf angeboten. Eine Gruppe von maximal zehn Personen mit erworbener Hirnschädigung wird über einen Zeitraum von fünf Monaten unter psychologischer Leitung trainiert, eigene Fehler zu erkennen, diese zu bewältigen oder zu kompensieren und die Folgen der Hirnschädigung Dritten gegenüber darzustellen.

Die Therapie beginnt jeden Morgen mit der Orientierung zum Tag, mit dem, was man sich „heute im Bezug auf seine Rehabilitation vornehmen möchte. Es wird besprochen, inwieweit das Ziel für den „gestrigen“ Tag bewältigt werden konnte. Freitags erfolgt immer die Orientierung zum Wochenende. Man stellt sich eine Aufgabe für das Wochenende, deren Ziel es sein soll, in Bezug auf seine Problematik weitere Fortschritte zu machen.

Der zweite und zentrale Tagesordnungspunkt ist der „heiße Stuhl". Es handelt sich hierbei um eine therapeutische Maßnahme, um während des Vortrages zu einem persönlichen Thema das Organisieren und Formulieren von Gedanken zu üben. Auf diesem „heißen Stuhl“ sitzt ein zu therapierender und neben ihm die Psychologin, die ihn während seiner Darstellung eines vorgegebenen Theamas coacht. Solche Themen sind beispielsweise „Persönliche Vorstellung", „zwei Erfolge, auf die ich stolz bin“ oder „zwei Eigenschaften, die ich an mir mag".

Es folgt für 30 bis 60 Minuten das Funktionstraining, bei welchem jeder der „Patienten“ an einem eigenen Computer verschiedene Aufgaben zu bearbeiten hat. Hierdurch erfolgt eine Verbesserung im Bereich der Geschwindigkeit, Genauigkeit und der Belastbarkeit beziehungsweise Ausdauer.

Das Programm sprach mich sehr an. Ich hatte viele Erfolge zu verbuchen. So wurde zum Beispiel meine Sprache flüssiger, ich treffe seither eine bessere Wortwahl, bin einfühlsamer, kontaktfreudiger und lernte auch meine Fehler einzusehen. Es handelt sich bei dem IRP um diejenige Therapie, die mich geistig am meisten befriedigt hat.

Wo bekommen Sie den Text?

BDH-Magazin - Informationszeitschrift des BDH Bundesverband Rehabilitation
(bis Ausgabe 3/4 2020: 'BDH-Kurier')
https://www.bdh-reha.de/de/verband/aktuelles-bdh-magazin.php

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(bis Ausgabe 3/4 2020: 'BDH-Kurier')
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Referenznummer:

R/ZA7606

Informationsstand: 30.03.2021