Sowohl gesellschaftspolitisch, als auch für die Biografie und die Existenzsicherung des Einzelnen, ist die Teilhabe am Arbeitsleben in einer modernen Arbeitsgesellschaft von zentraler Bedeutung. Erwerbsarbeit ermöglicht neben einer Existenzsicherung den Zugang zu anderen gesellschaftlichen Bereichen, vermittelt soziale Anerkennung und Wertschätzung sowie das Gefühl, gebraucht zu werden. Für Personen, die aufgrund ihrer Erkrankung in ihrem ursprünglichen Beruf nicht mehr arbeiten können, stellt diese neue Situation einen großen Einschnitt im Leben dar und erfordert seitens der Betroffenen und Angehörigen enorme Bewältigungsarbeit (Corbin, Strauss, 2004). In diesem Zusammenhang spielen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine herausragende Rolle; die berufliche Rehabilitation wird - zur Sicherung sozialer und beruflicher Teilhabe - immer bedeutsamer (BMAS, 2013). Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen immer die gesamte Lebenssituation berücksichtigen (Kardorff, Ohlbrecht, 2013), eine Anforderung, die innerhalb des arbeitsteilig organisierten Hilfesystems nicht immer gelingt (Schubert
et al., 2013).
Die Studie richtet ihren Blick auf die gesamte Lebenssituation der Betroffenen und geht der Frage nach, wie der Prozess einer durch die Erkrankung „erzwungenen“ beruflichen Neuorientierung erlebt und gestaltet wird und vor welchen Dimensionen sich dieser Prozess vollzieht. Ziel der Analyse ist die Herausarbeitung von Strukturen der Wechselwirkung zwischen der Erkrankung, der damit verbundenen Bewältigungsarbeit und dem Selbsterleben in der beruflichen Neuorientierung. Die Studie ist als qualitative Untersuchung angelegt, gerahmt und geleitet durch den Forschungsstil der Grounded Theory (Glaser, Strauss, 2010); ein ganzheitliches,
d. h. alle Phasen des Forschungsprozesses (unter anderem konzeptioneller Rahmen, Fallauswahl, Auswertung, Ergebnisdarstellung) einschließendes Verfahren. Es wurden 10 Personen, die aufgrund einer Erkrankung eine berufsbiografische Veränderung erlebten, zu zwei Zeitpunkten leifadengestützt interviewt, um den Verlaufscharakter des komplexen Veränderungsprozesses zu erfassen.
Der Prozess beruflicher Neuorientierung ist durch drei übergeordnete Konzepte bestimmt: Dimensionen von Arbeit, Bruch der Berufsbiografie sowie Rekonstruktion und Neuentwurf. Die „Richtung“ und Intensität des Neuorientierungsprozesses und entsprechend eingesetzte Strategien unterliegen einem komplexen Gefüge unterschiedlicher Faktoren. Diese sind angesiedelt auf individueller Ebene
(z. B. Alter, soziale Unterstützung), im Bereich externer Kontextbedingungen (Arbeitsplatzbedingungen, Arbeitsmarkt) sowie bestimmt durch den Charakter der Erkrankung und dessen Verlauf. Dieses Bedingungsgefüge ist dynamisch, das heißt veränderte Rahmenbedingungen (zum Beispiel Verschlechterung der Erkrankung oder begrenzter beruflicher Gestaltungsspielraum) führen zu veränderten Relevanzen bestimmter Aspekte für die/den Einzelnen.
Die bisherigen Erkenntnisse verweisen auf ein vielschichtiges Spektrum beruflicher Teilhabe. Der Verlaufscharakter beruflicher Neuorientierung kann als nichtlinear beschrieben werden und erfordert einen besonderen Bedarf flexibel aufeinander abgestimmter multimodaler Unterstützungsangebote sowie eine biografische Fallberatung (Dern, Hanses, 2001). Diese muss auf individuelle Bedeutungskontexte von Arbeit und Gesundheit sowie (berufs)biografische Erfahrungswerte der Menschen aufbauen und dabei die jeweiligen Krankheitsverlaufskurven berücksichtigen.