Berufliche Qualifizierungsmaßnahmen machen circa 23 Prozent aller
LTA-Leistungen der DRV aus; fast jeder fünfte Teilnehmer bricht die Maßnahme vorzeitig ab. Für die von uns untersuchten 2-jährigen Vollzeitmaßnahmen (Umschulungen mit
IHK-Abschluss) stellt diese hohe Abbruchquote eine individuelle wie auch ökonomische Belastung dar.
Unsere Studie zielte darauf
a) individuelle und biografische Ursachen und subjektive Gründe für einen Abbruch zu identifizieren,
b) verfahrens- und ablaufbedingte Aspekte, die einen Abbruch auslösen können, zu benennen (Zuweisungsprozesse, Gruppendynamik, Disability- Management) sowie
c) strukturelle Rahmenbedingungen (Angebotsstruktur, Praktika, Beratungsangebote) auf Verbesserungspotenziale hin zu analysieren.
Da der größte Teil der in der Regel motivierten und zufriedenen Teilnehmer die Bildungsmaßnahmen erfolgreich abschließt, richtete sich eine Fragestellung auch auf die Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Beendigung der Maßnahme.
In der als Mixed-Method-Design angelegten Studie wurden Teilnehmer (N = 454) im ersten und zweiten Ausbildungsjahr bei drei Berufsförderungswerken und drei Freien Bildungsträgern mit Hilfe eines eigens entwickelten Fragebogens sowie mit Hilfe narrativ-episodischer Interviews befragt (Abbrecher: N = 11, Teilnehmer: N = 12); darüber hinaus wurden Fachkräfte und Experten (Reha-Fachberater, Lehrkräfte, Disability-Manager, Leitungskräfte) interviewt (N = 23) sowie Gruppendiskussionen mit Teilnehmern und Experten (N = 6) durchgeführt. Damit konnten die unterschiedlichen Sichtweisen aller beteiligten Akteure erfasst und analysiert werden.
(1) Übereinstimmend mit den wenigen vorliegenden Studien erwiesen sich in der Reihenfolge ihrer Bedeutsamkeit drei Faktoren als signifikant für Abbruchrisiken: Depression, subjektiver Gesundheitszustand und soziale Unterstützung. Ein fehlender Berufsabschluss ist ein weiterer Risikofaktor. Entgegen unseren Erwartungen spielen soziodemografische Variablen (zum Beispiel Alter, Länge vorausgegangener Arbeitslosigkeit, Bildungsstand) keine statistisch signifikante Rolle.
(2) Risikofaktoren für einen Abbruch finden sich auch bei Nicht-Abbrechern; fast alle Teilnehmer haben schon einmal an einen Abbruch gedacht; ob es dazu kommt, hängt von einer Vielzahl situativer Faktoren ab, die von der Einrichtung meist nicht beeinflusst werden können; hier stellt sich auch die Frage nach dem Zusatzgewinn zusätzlicher aufwändiger Assessments.
(3) Kritisch werden seitens der Teilnehmer intransparente Zuweisungsentscheidungen (zum Beispiel zum
RVL) und die Länge und Qualität der Praktika beurteilt; Teilnehmer mit psychischen Störungen werden in der Gruppe als Belastung erlebt. Hinsichtlich des Unterrichts werden die Verschiedenheit erlernter Berufe in einer Klasse, nicht aber die Heterogenität
nach Alter, Herkunft oder Geschlecht problematisiert.
(4)
RVL/RVT-Kurse werden von einem Teil der Teilnehmer als äußert hilfreich, von einem andern Teil als „absolut sinnlos“ bewertet; dies verweist auf Zuweisungsprobleme.
(5) Alle befragten Fachkräfte gehen von einer Zunahme „schwieriger“ Teilnehmer aus (Verhaltensauffälligkeiten,
Anpassungsprobleme; bei jüngeren Teilnehmern: Defizite bei schulischen Abschlüssen).
(6) Signifikante Unterschiede zwischen Teilnehmern, die von den Arbeitsagenturen/Jobcentern oder der Rentenversicherung zugewiesen werden, zeigen sich nicht. Unterschiede zwischen BFWs und Freien Bildungsträgern sind ebenfalls nicht signifikant.
(7) Bei der Analyse des Abbruchphänomens hat sich gezeigt, dass die administrative Abbruchsdefinition differenziert werden muss. Dies bezieht sich auf die Klassifikation von Abbrüchen wie auch darauf, dass sich hinter dem mehrheitlich dokumentierten Abbruch aus „medizinischen Gründen“ oft andere (zum Beispiel familiäre, finanzielle) Gründe verbergen können.