Mit der Nivellierung des Sozialgesetzbuch Zweites Buch ist eine Reform in Kraft getreten, die es erlaubt, von einem sozialrechtlichen Umbruch zu sprechen. Die Zeichen für eine umwälzende Veränderung sind zahlreich, sie reichen von Stammtischgesprächen bis zu ernsthaften Diskussionen auf allen politischen Ebenen, von populistischer Schlagzeilen in der Boulevardpresse bis zur Auseinandersetzungen über das sozialen System in Deutschland in traditionsreichen Feuilletons. Die teilweise hitzigen Diskussionen und Proteste in den neuen Bundesländern, die sich des Vokabulars der friedlichen Revolution in der DDR bedienten, waren wohl ein bisheriger Höhepunkt. Auch die Wahlergebnisse bei Landtagswahlen, in denen die Regierungspartei SPD überdurchschnittlich schlecht abschnitt und die in letzter Konsequenz zu den Neuwahlen im September 2005 führten 1, waren in starkem Maße durch diese Kontroverse bestimmt. Die Sozialreform - Stichwort Hartz
IV - bildete den wohl umstrittensten Bestandteil der Agenda 2010.
Veränderungen im Gefüge des Sozialstaates, besonders wenn sie mit Kürzungen einhergehen, sind ein sehr emotional besetztes Thema. Schließlich geht es um die staatliche Subventionierung bei individuellen Notlagen und die Existenzsicherung vor dem Hintergrund einer Rezession. Gerade angesichts der Strukturprobleme des gegenwärtigen Arbeitsmarktes ist Arbeit zu einem zunehmend unberechenbaren Faktor der Existenzsicherung geworden, hat die Angst, von staatlichen Unterstützungen abhängig zu werden, weite Kreise der Gesellschaft erfasst.
Umso wichtiger erscheint eine nüchterne Analyse der Entwicklung, die aus den sich abzeichnenden Veränderungen und den bereits in Kraft getretenen Reformen, Handlungsstrategien ableitet, die zielführend als auch effektiv und effizient sind und sich als flexibel genug für individuelle Ansätze erweisen. Diese Arbeit, die die berufliche Begleitung von seelisch behinderten Menschen durch den Integrationsfachdienst vor dem Hintergrund des Vierten Gesetzes zur moderenen Dienstleistung am Arbeitsmarkt (Sozialgesetzbuch Zweites Buch; im Folgenden
SGB II) untersucht, versucht diesem Anspruch gerecht zu werden.
Begleitung im Arbeitsprozess und die Grundsicherung für Arbeitsuchende scheinen auf den ersten Blick keine Basis für eine gemeinsame Analyse darzustellen. Jedoch sind berufliche Biographien von immer mehr Brüchen und Wechseln gekennzeichnet. Den einen Arbeitsplatz von der Lehre bis zur Rente, gibt es so in nicht mehr erwähnenswertem Maß. Es ist also legitim, bei der Analyse der beruflichen Begleitung auch Fragen zur Existenzsicherung außerhalb der Erwerbstätigkeit, Berentung und Leistungen der Gesetzlichen Krankenkassen zu behandeln. Des Weiteren sind gerade berufliche Wechsel und Übergänge von Leistungsbezug aus verschiedenen Sozialgesetzbüchern für Menschen mit Behinderungen bedeutsam, die nicht in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind. Krankheit und Behinderung verschlechtern die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Verschärfen kann sich diese Situation zusätzlich noch, wenn die Krankheit oder Behinderung, wie es häufig gerade bei seelischen Störungen der Fall ist, einen progressiven oder nicht absehbaren Verlauf nimmt. Die Berufsbegleitenden Dienste sind zur Unterstützung im Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen installiert worden, müssen also gegenüber allen Fragen die sich mit der beruflichen Entwicklung beschäftigen, offen sein.
Die im Zweiten Buche des Sozialgesetzbuches vorgesehenen Nivellierungen sind exemplarisch für den Paradigmenwechsel in der sozialen Politik Deutschlands. Das am 01. Januar 2005 in Kraft getreten Vierte Gesetz für modere Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Grundsicherung für Arbeitslose - führt die Arbeitslosenhilfe mit Teilen der Sozialhilfe zusammen. Es zielt in erster Linie auf Personen, die mindestens ein Jahr arbeitslos sind und soll sie bei der Aufnahme von Arbeit unterstützen. Die Unterstützung bei der Arbeitsaufnahme wird begleitet von dem Prinzip des Fordern und Fördern, welches sich aus den Konzeptionen des aktivierenden Staates herleitet. Anhand dieser Neuerungen kann der Paradigmenwechsel in der sozialen Politik exemplarisch beschrieben werden. Aktivierender Sozialstaat und Fordern und Fördern auf konzeptioneller Ebene und auf der Ebene der konkreten gesetzlichen Ausformulierung, wird in eigenen Kapiteln (Kapitel: 2.2, 2. 2.1, 2.2.1.1) dargestellt. Diese Abschnitte sollen die Hintergründe und Konsequenzen dieser politischen Handlungsmaxime näher beleuchtet.
Arbeit und Erwerbstätigkeit nach wie vor einen zentrale Bedeutung für das gesellschaftlichen Leben einer Industrienation einnehmen, haben Veränderungen auf diesem Gebiet tiefgreifende gesellschaftliche Implikationen und Konsequenzen. Für Menschen mit Behinderungen ist die Teilhabe an der Gesellschaft eng mit der Teilhabe am Arbeitsleben verbunden, hat für sie somit eine besondere individuelle Bedeutung.
Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten und dem Neunten Buch der Sozialgesetzbücher befasst sich mit zwei zentralen Themen sozialstaatlichen Handelns: der Integration von Menschen mit Behinderungen und der Gestaltung der Hilfen auf dem Arbeitsmarkt beziehungsweise Hilfen, wenn eine Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt (vorübergehend) nicht möglich ist.
Die Arbeit weist drei Teile auf. Im ersten Teil soll der Integrationsfachdienst München Freising
gGmbH (im Folgenden
IFD M-FS) dargestellt werden, dessen Aufgabe unter anderem die berufliche Begleitung seelisch behinderter Menschen ist. Über die Grundsicherung für arbeitslose Menschen, wird im zweiten Teil referiert. Beide Teile, die Grundsicherung nach dem
SGB II und die berufliche Rehabilitation nach dem
SGB IX, werden anhand ihre Schnittpunkte und Schnittmengen, beziehungsweise gegenseitigen Beeinflussung dargestellt. Im dritten und letzten Teil werden Managementkonzepte für Einrichtungen der sozialen Arbeit diskutiert und Überlegungen aufgegriffen, die sich mit der Umsetzung innerhalb des Integrationsfachdienstes/Berufsbegleitenden Dienstes und den gesetzlichen Neuerungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch befassen.
Der Verfasser weißt in Exkursen exemplarisch auf die Situation psychisch behinderter Menschen hin. Dies hat zwei Gründen: Erstens sind Menschen mit psychischer Behinderung die proportional größte Gruppe von Menschen die begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Anspruch nehmen und zweitens ist der Verfasser selbst in diesem Bereich tätig und kann somit aus berufspraktischen Gründen vertieft auf diese Thematik eingehen.
[Aus: Autorenreferat]