Die jüngste Veröffentlichung in einer englischsprachigen rechtsvergleichenden Reihe zu Fragen der Arbeitsunfallversicherung, die die weltweit größte Rückversicherungsgesellschaft Münchner Rück herausgibt, befasst sich mit dem Problem, wie und gemäß welcher Verfahren Körperschäden gemessen, bewertet, beziffert und schließlich entschädigt werden. Nach deutschem Verständnis geht es also um die scheinbar so altbekannte Frage der Bestimmung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE). Um so überraschender ist, wie verschieden und komplex die Lösungen dieser Kernfrage jeder Unfallversicherung in ausländischen Systemen sind.
Anhand ausgewählter Staaten werden exemplarisch die wichtigsten Zuordnungsverfahren dargestellt. So kann von der
MdE ausgegangen werden (zum Beispiel Deutschland, Schweiz, Hong Kong) oder der Minderung der Arbeitsfähigkeit (Belgien, Italien Kolumbien) oder von einer Mischung dieser Ausgangspunkte (Dänemark, New South Wales).
Der Verlust von Erwerbs- und/oder Arbeitsfähigkeit kann rückschauend (Spanien), vorausschauend (Belgien), durch Vergleich mit einer gesunden Normal- oder Vergleichsperson (Großbritannien) oder durch Diagnosekataloge (in den meisten Bundesstaaten der
USA) definiert werden. Ähnlich vielfältig sind die Anspruchsauslösenden Mindestgrade (ab 1 Prozent in Belgien, 10 Prozent in Frankreich, 20 Prozent in Deutschland, 33 Prozent in Spanien), die Verfahren zur Bestimmung der Höhe des Grades (zum Beispiel nach Art der Verletzung gemäß einer Tabelle oder nach Art der Verletzung in ihrer Auswirkung auf die Aktivitäten des täglichen Lebens gemäß der Einschätzung von Ärzten,
usw.) oder die Zeiträume der Neueinschätzung/ Überprüfung des Funktionsverlust. Vielgestaltig auch, wem die Einschätzungsfrage übertragen wird: einem (medizinischen) Gutachter des Versicherungsträgers, dem staatlichen amtsärztlichen Dienst, dem Hausarzt.
Tröstlich, dass Kritik an der Gutachterauswahl nahezu systemunabhängig ist, auch wenn die Kritiker je nach gewählter Lösung aus verschiedenen Interessengruppen kommen. Ein Kapitel widmet sich künftigen Herausforderungen der Einschätzung und Bewertung von Funktionsverlusten, etwa durch Zunahme von psychischen oder nichtgreifbaren Beeinträchtigungen wie Stress oder muskelo-skeletären Störungen.
Das Schlusskapitel stellt tabellarisch Verfahren zur Bestimmung der Funktionsminderung in zwölf Staaten dar.
Insgesamt ein spannender und äußerst anregender einführender Überblick, der zu vielen behandelten Teilaspekten das Interesse an vertiefenden Einzelheiten weckt. Einmal mehr zeigt er die Relativität der real existierenden nationalen Lösungen und die daraus resultierende Schwierigkeit eines Effizienzvergleichs.